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Deutsche Parkinson-Vereinigung Vorwurf der Vetternwirtschaft
Stand: 06.09.2023 18:09 Uhr
Die Missstände in der Parkinson-Vereinigung sind offenbar größer als bisher bekannt. Der neue Vorstand beschuldigt den Ex-Geschäftsführer der Vetternwirtschaft.
Von Markus Grill und Nils Wischmeyer
Als sich der Vorstand der Deutschen Parkinson-Vereinigung (DPV) Ende April traf, lief eine Kamera mit und zeichnete die Sitzung auf. Den Vorstandsmitgliedern war das bewusst, sie unterhielten sich in der Sitzung auch darüber. Dennoch kam es sofort zum Streit.
Der Schriftführer des Vereins hatte einen Rechtsanwalt mitgebracht und was der dem Vorstand vorhielt, war heftig: „Ich habe Belege dafür, dass es zu massiven finanziellen Unregelmäßigkeiten in der Vergangenheit gekommen ist“, sagte Anwalt Dieter Breymann. „Jeder, der diese Informationen hat, ist strafrechtlich gezwungen, diese den Strafverfolgungsbehörden zur Kenntnis zu bringen.“ Doch der Anwalt kam nicht weit, da die Vorsitzende der Parkinson-Vereinigung, Magdalena Kaminski, ihm klarmachte, dass er gar kein Rederecht auf der Vorstandssitzung habe und ihn bat, den Raum zu verlassen.
Die DPV befindet sich seit Wochen in großen Turbulenzen, wie NDR, WDRund „Süddeutsche Zeitung“ Ende August enthüllten. Mitte Juni trat der alte Vorstand nach einer Welle interner Vorwürfe geschlossen zurück. Der neue Vorstand hat seitdem mehrere Anwälte angeheuert, die Unregelmäßigkeiten aufzuarbeiten.
Schattenkonto geführt?
Erst vor zwei Wochen wurde die Basis der Vereinigung in einer Delegiertenversammlung über die bisher entdeckten Missstände informiert. Demnach soll der mehr als 30 Jahre lang amtierende Geschäftsführer Friedrich Wilhelm Mehrhoff ein Schattenkonto geführt haben, das in der Geschäftsstelle nicht bekannt gewesen sei und auf das er Erbschaften gelenkt haben soll, die nicht in der offiziellen Liste der Erbschaften verzeichnet waren.
Von diesem Konto, so wurden die Delegierten der Parkinson-Vereinigung Ende August informiert, soll Mehrhoff im Lauf der Jahre rund 1,8 Millionen Euro veruntreut haben. 1,5 Millionen davon soll er an Bankautomaten am Sitz der Vereinigung in Neuss oder bar abgehoben haben. Mehrhoff selbst reagierte auf mehrere Anfragen nicht.
Magdalena Kaminski, die die Parkinson-Vereinigung bis 15. Juni dieses Jahres als erste Vorsitzende leitete, beantwortete Fragen von NDR, WDR und SZ zu dem mutmaßlichen Schattenkonto mit der Gegenfrage: „Wie soll mir ein Konto bekannt sein, das, sofern es existiert, offensichtlich zu diesem Zweck angelegt wurde, dass es eben nicht bekannt sein sollte?“ Die in der Vorstandssitzung im April aufgekommenen Vorwürfe seien „im Wesentlichen“ geklärt worden, sie hätten „übrigens überhaupt nichts mit den Vorwürfen zu tun, die in der Delegiertenversammlung um August erstmals auftauchten“, so Kaminski.
Nach bisherigen Erkenntnissen des neuen Vorstands soll ein Teil des Geldes von dem Schattenkonto auch an Mehrhoffs langjährige Assistentin geflossen sein. Die Delegierten wurden aber auch im Detail über ein Netz von mutmaßlich Begünstigten informiert, die mit der Assistentin verwandt sind. So soll ihr Neffe von September 2021 bis Juli 2022 mit 38,5 Wochenstunden beschäftigt gewesen sein. Darüber hinaus soll er aber zusätzlich auch noch mit seiner Firma als externer IT-Dienstleister tätig gewesen sein und dafür im Jahr 2022 insgesamt 188.000 Euro erhalten haben. Allein für die Betreuung der Facebook-Seite der Parkinson-Vereinigung soll er im Jahr 2022 mehr als 44.000 Euro erhalten haben.
Auch die Frau des Neffen war demnach bei der Parkinson-Vereinigung beschäftigt und soll von August 2019 bis Juli 2022 monatlich 1600 Euro erhalten haben. Ein Arbeitsvertrag ließ sich jedoch nicht finden, wie der neue Vorstand den Delegierten mitteilen ließ. Weder der Neffe noch seine Frau haben auf Anfrage geantwortet. Darüber hinaus soll auch die Schwester von Mehrhoffs Assistentin bei der Parkinson-Vereinigung beschäftigt gewesen sei. Doch auch zu ihr lasse sich kein Arbeitsvertrag finden. Sie war für Anfragen nicht erreichbar.
Neuer Vorstand geht von Scheinbeschäftigung aus
Der neue Vorstand der Selbsthilfeorganisation geht in beiden Fällen von einer Scheinbeschäftigung aus. Die Assistentin selbst hatte vor zwei Wochen noch telefonisch erklärt, sie habe kein Geld erhalten und kenne das angebliche Schattenkonto auch nicht. Inzwischen lässt sie sich von einem Rechtsanwalt vertreten, der auf detaillierte Nachfragen zu den Zahlungen und dem Netz der Verwandten aber lediglich mitteilt, dass man sich derzeit „zu internen Vorgängen bei der Deutschen Parkinson Vereinigung e.V. gegenüber der Presse nicht äußern werde“.
Die ehemalige erste Vorsitzende Kaminski erklärte auf Anfrage, insgesamt sei sie „von den Vorwürfen in der Delegiertenversammlung ebenso überrascht worden wie alle Delegierten, die vorher nicht vom Vorstand informiert wurden.“ Zur Ehefrau des Neffen und zur Schwester der Assistentin könne sie nichts sagen.
Das Verwandtschaftsverhältnis zum Neffen dagegen sei „allgemein bekannt“ und sie sehe darin nichts Verwerfliches. „Stellen Sie sich vor, sie hätten einen Verein oder ein kleines Unternehmen zu führen“ und der Neffe sei bekannt für beispielsweise seine gute Malerarbeit. „Würden Sie es verwerflich finden, ihn zu beschäftigen, selbst wenn er etwas teurer wäre, dafür aber gute Malerarbeiten leistet im Vergleich zu einem vielleicht kostengünstigeren Maler, dem man gleich Reklamationen mitteilen müsste?“
Der aktuelle Vorstand kämpft derweil mit der IT. Auf einer provisorischen Webseite schreibt der neue Vorstand: „Wir haben diese Webseite online gestellt, da wir derzeit keinen Zugriff auf den offiziellen Internetauftritt der DPV haben.“ Den Delegierten sagte der Anwalt des neuen Vorstands, man habe sich zur Aufklärung der Vorwürfe an den IT-Dienstleister gewandt, also den Neffen der Assistentin. Man habe den Neffen auch gefragt, ob Daten gelöscht worden seien. Dieser habe die Anfrage mit „Schweigen“ bedacht.
„Extrem ungewöhnlich und unprofessionell“
Auf Unverständnis stößt im neuen Vorstand auch die bisherige Praxis der Selbsthilfe-Organisation, mehrere hundert Konten von Regionalgruppen nicht im jährlichen Rechenschaftsbericht zu erwähnen. In einem Brief an einen Delegierten räumte der frühere Geschäftsführer Mehrhoff ein, dass im Jahr 2019 genau 311 solcher Konten existierten, auf denen am Jahresende insgesamt mehr als ein Million Euro lag – eine Summe, die man im Bericht an die Delegierten vergeblich sucht. Die frühere Vorsitzende Kaminski bestätigt auf Anfrage, dass „diese Konten nie Bestandteil der Rechenschaftsberichte“ gewesen seien, doch dies sei „in Absprache mit dem Finanzamt“ geschehen, weil nicht alle Regionalgruppen es geschafft hätten, die Abrechnungen pünktlich zu erstellen.
Bernd Rühland, der derzeit im Auftrag des neuen Vorstands die Finanzen der Parkinson-Vereinigung durchleuchtet, hält diese Praxis für „extrem ungewöhnlich und unprofessionell.“ Gerade die Gemeinnützigkeit einer Organisation erfordere es, dass von jedem gespendeten Euro auch klar sei, wofür er ausgegeben werde. Mit der Praxis von mehreren hundert intransparenten Konten wolle der Verein nun aufräumen. Die Parkinson-Vereinigung hat eigenen Angaben zufolge eine Strafanzeige gegen Mehrhoff gestellt. Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf prüft einen Anfangsverdacht.
Mehr als 3,5 Millionen Menschen sind nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Deutschland in Selbsthilfegruppen organisiert. Finanziert wird die Selbsthilfe zum großen Teil von den gesetzlich Krankenversicherten. Jedes Mitglied zahlt pro Jahr derzeit 1,23 Euro für Selbsthilfe-Organisationen. So erhielt die Deutsche Parkinson-Vereinigung im Jahr 2021 von den Krankenkassen insgesamt rund 230.000 Euro. Dazu kommen Erbschaften, mit denen die Patientenorganisationen häufig bedacht werden und vor allem Mitgliedsbeiträge. Spenden sind in der Regel steuerlich absetzbar – sofern die Gruppierung gemeinnützig ist. Ob die Parkinson-Vereinigung diesen Status bewahren kann, ist nach Ansicht der Anwälte derzeit aber fraglich.