KI löst eines der größten Rätsel der Biologie
Den diesjährigen Chemie-Nobelpreisträgern ist es gelungen, mit Hilfe Künstlicher Intelligenz die Struktur von Eiweißmolekülen genau vorherzusagen und sogar ganz neue Proteine zu erzeugen.
STOCKHOLM | Der Nobelpreis für Chemie geht in diesem Jahr zu einer Hälfte an David Baker (USA), zum anderen Teil an Demis Hassabis und John Jumper, die beide in Großbritannien arbeiten. Baker erhält den Preis für rechnergestütztes Proteindesign. Mit der von ihm entwickelten Methode lassen sich neue, in der Natur unbekannte Proteine herstellen. Baker sei das „fast Unmögliche gelungen“, urteilte die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften in Stockholm.
Hassabis und Jumper bekamen den Nobelpreis für die Vorhersage der komplexen Strukturen von Proteinen mit Hilfe Künstlicher Intelligenz (KI). „Das Leben könnte ohne Proteine nicht existieren. Dass wir nun Proteinstrukturen voraussagen und unsere eigenen Proteine erschaffen können, ist für die Menschheit von größtem Nutzen“, teilte das Nobelkomitee mit.
Proteine sind jene komplexen Eiweißmoleküle, welche die Basis für alle uns bekannten Formen von Leben bilden– vom Einzeller bis zum Menschen. Zellen und Gewebe bestehen zu einem guten Teil aus Proteinen. Proteine sind für praktisch alle biochemischen Vorgänge verantwortlich – etwa als Verdauungsenzyme oder als Hormone, die wichtige Körperfunktionen steuern. Proteine bestehen aus einzelnen Eiweißbausteinen, den Aminosäuren. Deren genaue Reihenfolge ist im Erbmolekül DNA gespeichert.
Doch die Frage, wie sich die langen Ketten aus Aminosäuren so falten, dass sie ihre Funktion als Proteine erfüllen können, blieb lange unbeantwortet. Die Vorhersage der dreidimensionalen Proteinstruktur anhand der zugehörigen DNA-Sequenzen galt jahrzehntelang als eines der größten Rätsel der Biologie. Für genau dieses Rätsel haben Hassabis (48) und der 1985 geborene Jumper eine Lösung gefunden. Konkret werden die beiden Wissenschaftler für die Entwicklung von AlphaFold2 geehrt: Das KI-Programm nutzt neuronale Netzwerke, um die Struktur von Proteinen mit bisher unerreichter Genauigkeit vorherzusagen.
Jumper zählt zu den wenigen Chemie-Nobelpreisträgern, die bereits vor ihrem 40. Lebensjahr mit der Auszeichnung geehrt werden. Der bislang jüngste Preisträger war im Jahr 1935 der damals 35-jährige Frédéric Joliot. Hassabis ist der Chef Google-KI-Tochter DeepMind, die AlphaFold2 entwickelt hat. Jumper ist dort Seniorwissenschaftler.
Er wurde kürzlich vom „Time Magazine“ zu den 100 einflussreichsten Menschen in der KI-Welt gezählt. Hassabis hatte erst am Vortag seinem „guten Freund“ Geoffrey Hinton via X zu dessen Physik-Nobelpreis gratuliert: „Unglaublich verdient.“ Hintons Arbeit habe entscheidende Grundlagen für die moderne KI gelegt.
Hassabis begann schon als Jugendlicher mit dem Programmieren von Computerspielen und wandte sich dann der Künstlichen Intelligenz zu. 2010 gründete er das Unternehmen DeepMind mit, das KI-Modelle für Brettspiele wie Go entwickelte und 2014 an Google verkauft wurde. DeepMind erregte Aufsehen unter anderem, als die KI Go-Champions besiegte. Auch die Schaffung völlig neuer Proteine mit besonderen Funktionen war lange Zeit nur ein Wunschziel chemischer Forschung. Genau solche Proteine können mit der unter David Bakers (62) Leitung entwickelten Software „Rosetta“ konstruiert werden – laut Nobelpreis-Komitee „ein Paukenschlag für die Forscher, die sich mit Proteindesign befassten“.
Proteine mit neuen Funktionen zu erzeugen, könne zu „neuen Nanomaterialien, zielgerichteten Pharmazeutika, einer schnelleren Entwicklung von Impfstoffen, kleinsten Sensoren und einer umweltfreundlicheren chemischen Industrie beitragen, um nur einige Anwendungen zu nennen, die zum größten Nutzen der Menschheit sind“.
Baker hatte „Rosetta“ bereits Ende der 1990er Jahre entwickelt. Die Software konnte eine Proteinstruktur anhand ihrer Zusammensetzung vorhersagen – und umgekehrt anhand einer gewünschten Proteinstruktur die dafür notwendige DNA-Sequenz ermitteln. Bakers Team entwarf zum Beispiel ein Gen für eine Abfolge von 93 Aminosäuren und schleuste es in Bakterien ein, die daraufhin tatsächlich dieses Protein produzierten.
Den vollständigen Artikel von finden Sie in der Stuttgarter Zeitung vom Donnerstag 10. Oktober 2024